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Kurzfassung von zwei Spielszenen (Musik und Bildung 3/2005)
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Druckausgabe
68 Seiten 3.40 €
Spielkonzept von
Rainer O. Brinkmann
Wolfgang M. Stroh
Arnold Schönberg
Moses und Aron

Szenische Interpretation für den Religions-, Geschichts- und Musikunterricht

Diese Szenische Interpretation ist 2004 an der Staatsoper Berlin Unter den Linden entstanden, als Daniel Barenboim eine Neuinszenierung einstudiert hat. Die Geschichte vom "auserwählten Volk" ist heute nicht ohne Sprengstoff - leider im wörtlichen Sinne! Daniel Barenboim hat sich 2004 mit seinen Kulturinitiativen zur jüdisch-palästinensischen Versöhnung einen Namen gemacht und mehrere Preise dafür erhalten. Wir haben versucht, der biblischen Geschichte, in deren Zentrum Arnold Schönbergs Überzeugung steht, das jüdische Volk sei "auserwählt unter allen Völkern", aktuelle Züge dadurch zu verleihen, dass wir sie so genau wie möglich historisch rekonstruiert haben. Während die erwähnte Inszenierung an der Staatsoper um Aktualisierung bemüht war und beispielsweise den "Verführer" Aron als Bill Gates, das Goldene Kalb als eine Art Honegger und die Wüste als Palast der Republik, haben wir uns auf die Frage bezogen, wie die Ideologie des Auserwähltseins "funktioniert" hat, worin ihre mobilisierende Kraft bestand und warum die Befreiung aus ägyptischer Sklaverei gelungen, die Konsolidierung als "Staatsgebilde" aber - bis heute - misslungen ist.

Ganz nebenbei ist diese Szenische Interpretation auch eine handlungsorientierte Einführung in Zwölftonmusik und in Schönbergs expressive Tonsprache. Zwölftonmelodien werden gestisch gesungen, Arbeitsvorgänge werden zu Schönbergs vertrackten Sprachstrukturen entwickelt, Sprechchöre werden zu Rhythmicals, der Tanz ums Goldene Kalb als "dynamische Meditation" nachvollzogen. Im Anhang der Buchpublikation befinden sich relativ unbekannte Originaldokumente zu Schönbergs Judentum und seinen "jüdischen Kompositionen".

Aus dem Vorwort
Bilder vom Israel-Palästina-Konflikt sind das täglich Brot eines jeden Zuschauers der Fernsehnachrichten. Auch Schülerinnen und Schüler werden von diesen Bildern nicht verschont. Scheinbar ausweglos sind das Auserwählte Volk und die Ureinwohner Kanaans, die Israelis und die Palästinenser, ineinander verkeilt. Der Urmythos dieses Konflikts ist die Befreiung des Volkes Israels aus der ägyptischen Sklaverei. Die Befreiung gelang durch die Vorstellung der versklavten Israeliten, von Gott "auserwählt" zu sein. - Kann angesichts dieser Situation die Auseinandersetzung mit Schõnbergs "Moses und Aron" behilflich sein? Kõnnen Schülerinnen und Schüler ihre Deutung der Oper zu dem, was täglich in Israel und Palästina geschieht, in Beziehung setzen?

Eine erste Antwort ist die der mõglichst getreuen Reproduktion des historischen Vorganges. Diese Forderung, die bei der Szenischen Interpretation üblicherweise mit der Rollenschutzthese begründet wird, führte uns im Falle des Textbuches von Arnold Schõnberg zu einer religionskritischen Sicht der Story. Danach wird deutlich, dass der jüdische Gottesglaube zur Zeit der ägyptischen Knechtschaft eine "revolutionäre Ideologie" gewesen ist, die den radikalen Aufstand gegen die Sklavenhaltergesellschaft beinhaltete. Der Topos des "auserwählten Volkes" ist also ein historischer, der eine gewisse Funktion hatte und dabei erfolgreich war.

Die zweite Antwort ist die Erkenntnis, dass sich gerade heute die Widersprüchlichkeit der mosaischen Ideologie politisch aufzeigen und sogar "nutzen" lässt. Ein leibhaftiges und ermutigendes Beispiel haben wir aus gegebenem Anlass erfahren. Im April 2004 hat Daniel Barenboim an der Berliner Staatsoper Unter den Linden eine Neuinszenierung von "Moses und Aron" dirigiert. Hierfür sind die ersten Schulerprobungen des vorliegenden Konzepts von uns entwickelt worden. Daniel Barenboim, ein in Argentinien geborener Künstler, der 1952 als kleiner Junge nach Israel übersiedelt ist, hat in den letzen Jahren mit spektakulären Aktionen das Scheitern der Politik in Sachen jüdisch-arabischen Zusammenlebens erklärt und die Musik dazu aufgerufen in das dadurch entstandene Handlungs-Vakuum vorzustoßen. Für seine vielfachen Projekte zur musikalischen israelisch-arabischen Verständigung ist er 2004 sowohl von deutscher als auch von israelischer Seite mit Preisen ausgezeichnet worden. Am 10. Mai 2004, kurz nach der Premiere des Berliner "Moses und Aron" hat er mit einer Dankesrede vor dem israelischen Parlament einen Skandal hervorgerufen, als er die israelischen Politiker an ihr Versprechen von 1949, friedlich mit Palästinensern im "gelobten Land" zusammen zu leben, erinnerte (Original als Material SM 21).

Die vorliegenden Unterrichtsmaterialien sind so aufbereitet, dass sie offen für interpretierende Konstruktionen der Schüler sind. Wir geben keine Sicht und Wertung der Ereignisse vor, sondern versetzen die Handelnden in charakteristische Konflikt- oder Entscheidungssituationen, in denen sie sich handelnd "verhalten" kõnnen und sollen. Die Auseinandersetzung mit der Musik ist dabei der wichtigste leitende Rahmen.

Aufgrund des oratorischen Charakters der Oper haben wir den Ablauf der Szenischen Interpretation mit einem Ritual versehen. An allen einschlägigen Stellen wird durch eine ritualisierte Lesung eines Tora-Textes sowohl die Story, die beim gebildeten Opernhörer vorausgesetzt wird, in Erinnerung gerufen als auch ein gewisser V-Effekt erzeugt. Indem der Tora- bzw. Bibeltext verlesen wird, wird auf dessen Charakter als Lehrstück hingewiesen. Ebenfalls dem oratorischen Charakter der Oper verdankt sich die Tatsache, dass wir die individuellen Rolleneinfühlungen stark reduziert und demgegenüber ein breites Spektrum kollektiver Einfühlungsaktivitäten entworfen haben. Im Gegensatz zu allen bisher in der vorliegenden Reihe erschienenen Musiktheaterstücken sollen die Schüler "Moses und Aron" nicht aus einer durchgehend fest gehaltenen Rollenperspektive erleben. Vielmehr werden in der vorliegenden Szenischen Interpretation die Rollenperspektiven von Einheit zu Einheit gewechselt.

Begleitend zu den vorliegenden Materialien (inclusive Audio-CD bzw. CD-ROM) sollten das vollständige Textbuch von "Moses und Aron" und möglichst auch ein Klavierauszug vorhanden sein. Das einzige empfehlenswerte Buch über "Moses und Aron", das sich nicht in weitschweifigen Kompositionsanalysen oder religionsphilosophischen Erörterungen ergeht, ist das 1959 geschriebene Buch "Gotteswort und Magie" von Karl H. Wörner. Ansonsten enthält die Internetseite des Schönberg-Archivs Wien (www.schoenberg.at) einige sehr brauchbare Kurzinfos zu Inhalt, Entstehung und Musik, die wir im vorliegenden Buch voraussetzen.

Im vorliegenden Text werden alle Methoden, die sich aus der didaktischen Analyse ergeben haben, explizit aufgeführt. Einige "spieltechnische Details" der Szenischen Interpretation sind jedoch nicht immer erwähnt, da sie zum Routinehandwerkszeug einer Spielleiter gehören. Die einschlägigen Methoden sind alle im "Methodenkatalog der Szenischen Interpretation von Musiktheater" (Lugert-Verlag Oldershausen 2001) aufgeführt, auf den mittels des Kürzels "MET" im vorliegenden Text häufig hingewiesen wird.

Zur Terminologie "Israeliten" und "Hebräer": André Neher spricht in seinem Moses-Buch konsequent von "Hebräern". Das erscheint wissenschaftlich. Im Alten Testament ist damit ein Volk gemeint, das sich der (alten) hebräischen Sprache bedient, die zur semitischen Sprachfamilie gehört. "Israeliten" sind die um 1400-1200 v. Chr. in Palästina aus dem Norden und aus Mesopotamien eingewanderten, hebräisch sprechenden Semiten. Dies sind die Nachfahren ("12 Stämme") Jakobs, der von Gott den Namen "Israel" bekam (1. Moses 32). Neben diesen "Israeliten" zählen zu den hebräischen Völkern die Edomiter, Midianiter, Aramäer und Joktaniter. Arnold Schönberg sagt "Volk Israels", in der Lutherbibel und der von uns verwendeten (modernen) Toraübersetzung heißt es korrekt "die Kinder Israel(s)". Für die Ägypter waren die Israeliten wegen Sprache und Kultur aber eher (spezielle) „Hebräer“ oder (allgemeiner) „Semiten“. Wir verwenden daher die Bezeichnungen „hebräisch“ oder „Hebräer“, wenn die ägyptische Außenansicht, „Volk Israels“ oder „Israeliten“, wenn das Selbstverständnis der aus Ägypten ausziehenden Hebräer (Semiten) gemeint ist. In Anlehnung an Schönbergs Terminologie sprechen wir allerdings meist nur vom „Volk“.

Bei den Diskussionen um das vorliegende Konzept wirkte Johannes Fuchs (Hamburg) mit, Hilfsgeister bei der ersten Realisierung von Lehrerfortbildungen und Schüler-Workshops waren Annette Brunk, Robert Strohmeyer und Laura Mitzkus (Berlin). Das Manuskript hat Aaron Eckstaedt sachkundig durchgesehen. Ralf Nebhuth steuerte religionspädagogische Erfahrungen bei. All diesen Personen danken wir Stelle ganz herzlich. Wie immer gilt der besondere Dank aber allen Lehrer, Studenten und Schüler, die sich als Spielende und Mitdenkende an der bisherigen Entwicklung produktiv beteiligt haben.
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aktuell
 
Gaetano Donizetti
Maria Stuart
21. + 22. September 2006 | 10 - 17 Uhr

Info
Basiskurs für Studierende und Lehrende
Staatsoper Unter den Linden, Berlin
 
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